Artikel aus dem Katalog zur Ausstellung „DAS INNERE LICHT“, 2002
Naturhistorisches Museum Wien
ISBN 3-900275-89-0
Das Innere Licht
Bernd Lötsch über den blinden Visionär Sergej Popolsin
Um wieviel besser er doch malt als viele sehende Maler, staunen Kunstinteressierte vor den ausdrucksstarken Bildern des tragisch erblindeten Sergej Popolsin.
Kann es sein, dass das innere Licht, welches nachglüht aus der Zeit, als er noch sehend malte, ein stärkerer künstlerischer Impuls ist als es der alltägliche Anblick der Welt um ihn je sein konnte?
Kann es sein, dass die tiefe Erschütterung der Erblindung nach seinem Selbstmordversuch ihn erst in vollem Maß zum Künstler reifen ließ?
Ein hoher Preis, gewiss...
Tatsächlich begann er erst in dieser Phase, Bilder zu verkaufen. Sie müssen schon vorher gut gewesen sein, fein gezeichnet, ganz anders als jetzt. Er hat sie damals nicht verkauft, man gibt nicht seine Kinder weg für Geld, das schien ihm schmutzig: „Sie sind bei mir überall herumgelegen.... Ich habe sie Freunden gezeigt, guten Bekannten, Studenten und Künstlern, und dann, als man mich ins Krankenhaus eingeliefert hat, gerieten sich die Freunde in die Haare: ‚Das gehört mir! Das dort Dir! Warte, ich geb‘ Dir so und so viel, wenn Du mir das da gibst!‘ Ein Albtraum. Da habe ich sie alle verbrannt...!”
Ein Blatt blieb übrig - bezeichnenderweise mit einem Totenkopf darauf.
„Meine erste Ausstellung erlebte ich bereits als Blinder. Ich habe wieder angefangen zu arbeiten, weil meine Bekannten Geld sammelten, weil sie mich durchfütterten, weil sie Fahrtkosten für mich übernahmen, mir Kleidung besorgten. Ich habe mir vorgenommen, einige Bilder zu malen, sie zu verkaufen, meine Schulden zu bezahlen und dann..., dann noch einmal, zum letzten Mal, in eine andere Welt zu gehen.”
Stattdessen holte ihn die Anerkennung zurück ins Leben:
„Um alles in der Welt, das kann doch nicht sein, dass das jemand brauchen kann! Ich selbst weiß ja nicht, ob etwas daraus geworden ist, ich sehe es ja nicht, aber alle sagten mir, dass es viel besser ist als früher.
Eine Ausstellung ist wie ein Seelenstriptease. Eins mit sich selbst und der Leinwand entblößt du dich auf dem Bild. Wenn einer von einer Million, ein einziger Mensch, sich das Bild anschaut und schweigend näher tritt, habe ich das Gefühl, dass er mich als Mensch in diesem Bild verstanden hat. Mehr brauche ich nicht.”
Nun gibt er nicht mehr auf.
Die Farbentuben kennzeichnet er durch unterschiedliche Einkerbungen an den Verschlüssen; einige dünne, lange Nadeln, die er in wichtige Punkte in der Leinwand steckt, helfen ihm, sich auf der Bildfläche zu orientieren. Mit klaren und starken Farben reflektiert er visuelle Eindrücke aus seinem anderen Leben.
Doch wie ist das möglich, fragen selbst Psychologen, dass er - ohne selbst sehen zu können - dabei mit optischen Illusionen spielt, das Glanzlicht eines Glases so treffend setzt, als sei es vor ihm im Raum gestanden. Gewiss stand es im Raum – zehn Jahre davor.
Ein holographisches Bewusstsein?
Es klingt herzlos, aber in die staunende Bewunderung mischt sich naturwissenschaftliche Neugier: Wie lange glüht die Farbenwelt im Inneren nach? Verblassen die Farben, verdunkeln sich die Bilder der Erinnerung? Weiß er nach weiteren 10 Jahren noch, was ein Rot ist oder ein Blau?
Wieso kann er, der Blinde, mit seinen Bildern Sehenden so viel vermitteln? Seltsame Wirklichkeiten aus seiner Anderswelt. „Durch diese zähflüssige Schwärze, durch diese zähe Finsternis siehst du ein Licht, von irgendwo her.“ Aus seinem Inneren.
Sagte nicht schon Goethe, dass wir nicht sehen, was wir sehen, sondern sehen, was wir wissen, und Edward Munch der große Expressionist: „Ich male nicht was ich sehe, sondern was ich gesehen habe.”
Warum wollten wir diese Bilder eines Blinden in der Natur- und Kunst-Galerie des Museums zeigen? Weil der Extremfall des Sergej Popolsin, des Mannes, der stets bis an die Grenzen geht, ja sie sogar überwindet - zwischen Leben und Tod, zwischen totaler Finsternis und magischem Licht wie am Ende eines Tunnels - uns Vieles zu erkennen hilft über die Natur der Kunst, über das Feuer der Farben als ausdrucksstarke Botschaft aus dem ewigen Dunkel.
Prof. Dr. Bernd Lötsch
Generaldirektor des Museums
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