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„Musik, Leinwand, Öl…”: mit der Kamera gemalt
Ein audiovisueller Galeriebesuch der anderen Art:
Gemälde des blinden Künstlers Sergej Popolsin verbinden sich mit Musik zu einem Film ohne Worte.
Filmkritik 07.02.2020 von Franco Schedl
Ein blinder Maler macht einen Film. Das klingt doppelt ungewöhnlich und nach einer großen Herausforderung. Hervorgegangen ist das knapp einstündige Werk aus einem länger zurückliegenden Projektplan: Gemälde des gebürtigen Russen Sergej Popolsin, der mit 26 Jahren sein Augenlicht verloren hat und seit Mitte der 90er Jahre in Österreich lebt, haben den Komponisten Evgeny Masloboev 2004 zu mehreren Musikstücken inspiriert, doch die geplante Kooperation unter dem Titel „Farbe im Ton” konnte nicht verwirklicht werden. Elf Jahre später kam Popolsin die Idee, auf Basis der Tondichtungen einen Film zu drehen, der 2018 abgeschlossen wurde. Ton und Bild ergeben in „Musik, Leinwand, Öl…” eine faszinierende Symbiose und laden uns zu einem audiovisuellen Galeriebesuch der anderen Art ein.
Einladung zur Bildbetrachtung
Manchmal klingt die Musik geradezu bedrohlich, dann ist sie wieder voll spielerischer Leichtigkeit und scheint direkt zum Tanzen aufzufordern. Über zwanzig Gemälde sind den Kompositionen zugeordnet und jede Bildbetrachtung wird durch eine kleine Szene vorbereitet, die gar nicht erst den Anspruch erhebt, eine durchgehende Geschichte zu erzählen, sondern eher eine Momentaufnahme bieten möchte, um eine gewisse Stimmung hervorzurufen. Als Bezugsperson ist immer „der Maler” zu sehen, der von Popolsin selbst verkörpert wird. Dennoch bleibt es eine Filmfigur, die man nicht zur Gänze mit dem realen Künstler gleichsetzen sollte (obwohl unverkennbar autobiografische Elemente eingeflossen sind).
Szenen eines Malerlebens
Dieser Maler ordnet Blütenzweige in einem Glasgefäß, steht mit der Staffelei in einer Winterlandschaft und macht wenig später einen Blütenfund im Schnee. Er lädt aber auch die Kammer eines Revolvers mit Patronen, als würde er sich auf russisches Roulette vorbereiten. Zum Geräusch des Schusses hinterlässt dann ein zu Boden fallender Pinsel einen roten Farbklecks auf dem Parkett. (Tatsächlich hat Popolsin im Jahr 1990 nach seinen eigenen Worten „russisches Roulette mit Gott gespielt” und bei diesem Selbstmordversuch sein Sehvermögen verloren.) Dann steht der Maler wieder vor einem Selbstporträt, das er mit den Händen erforscht oder nimmt einen Sitzplatz auf dem Friedhof ein. Später geht er durch Wiens Straßen und wir finden uns im Gürtel-Stoßverkehr wieder; einer Autofahrt im Regen folgt der Besuch in einem Jazz-Club. In einer anderen Szene wird er für ein kleines Mädchen aus einer Plastikschuhsohle und einem Blatt Papier ein ganz spezielles Segelschiff basteln, und zuletzt tastet sich ein Blinder symbolträchtig über Geröll vorsichtig einer Felswand entgegen.
Überhaupt scheint der Maler die freie Natur zu lieben und so begleiten uns viele Naturaufnahmen durch den Wechsel des Jahres: von tauendem Eis und Schmelzbächen über Frühlingsblütengrüße, einer sommerlichen Rast im Kornfeld bis zu herbstlich blätterreichen Impressionen.
Gelungenes Experiment
Meist streicht die Kamera zunächst über die Gemälde und lässt auf Anhieb nur Details erkennen, die wir uns erst selber zusammensetzen müssen, bevor sie dann den Blick aufs Ganze freigibt. Popolsin bringt es tatsächlich fertig, auch mit der Kamera zu malen, obwohl sie natürlich gar nicht von ihm selber geführt wurde, sondern von seiner in dieser Aufgabe zunächst ganz unerfahrenen Ehefrau. Sie folgte seinen genauen Vorgaben nach skizzierten Storyboards und erreicht eine erstaunliche Perfektion. Hier macht sich ein hoher Kunstwille bemerkbar und es entstehen genau kalkulierte Filmbilder.
„Musik, Leinwand, Öl…” ist somit ein gelungenes Experiment, bei dem unsere Augen und Ohren gleichermaßen gefordert sind, um eine ganz neue Form der Bilderkundung zu versuchen.
Premiere und Treffen mit den Filmautoren am Sonntag, 23. Februar, 11:00 Uhr im „Stadtkino im Künstlerhaus Wien”.
HILFSGEMEINSCHAFT der Blinden und Sehschwachen Österreichs
„Bildgewalt”
Der blinde Künstler Sergej Popolsin sprengt alle Grenzen
11. Februar 2020 von Gabriele Frisch
Film und Malerei sind in erster Linie visuelle Medien. Dass der blinde Künstler Sergej Popolsin ausdrucksstarke Gemälde erschafft, ist schon beeindruckend genug. Aber nun hat der Maler innerhalb von nur drei Jahren den 58-minütigen Spielfilm „Musik, Leinwand, Öl …” konzipiert und produziert. Immer mit dabei seine Ehefrau Rosmarie Spitzer, die dafür zum ersten Mal hinter der Kamera stand.
In eigenständigen Kurzfilmen sind 20 Episoden aus dem Leben Popolsins zu sehen, die Impulse für sein künstlerisches Schaffen liefern. Jeder Kurzfilm stellt eines oder mehrere Gemälde vor, die thematisch zusammengehören. Die Musik dazu stammt von Evgeny Masloboev, mit dem Popolsin 2004 an dem Projekt „Farbe im Ton” gearbeitet hatte. Evgeny schuf damals musikalische Kompositionen zu mehr als zwei Dutzend Gemälden von Sergej.
Popolsin will seinen Film nicht als Autobiografie verstehen: „Man darf mich nicht zur Gänze auf die Filmfigur des Künstlers übertragen. Obwohl alle Gemälde von mir stammen, habe ich nur den Versuch unternommen, auf die Frage 'Wie entstehen die Gemälde?' metaphorisch, ohne Worte zu antworten und nicht über mich selbst zu erzählen. In erster Linie war es für mich interessant, mich in die Musik hineinzuhören, zu versuchen sie zu dechiffrieren und mir dazu Videosujets auszudenken und sie zu gestalten.”
Dazu hat der Künstler alles bis ins kleinste Detail geplant – von den von ihm selbst gezeichneten schematischen Bildkompositionen, der Einstellung der Scheinwerfer, der Wahl der Perspektive, der Anordnung von Gegenständen bis zum Video- und Audioschnitt.
Der Film „Musik, Leinwand, Öl …” wurde bei vier internationalen Filmfestivals ausgezeichnet.
Am 23. Februar 2020 findet im „Stadtkino im Künstlerhaus Wien” um 11:00 Uhr die Premiere statt.
Details über das Leben und Wirken des Künstlers gibt es auf seiner Website.
WIENER ZEITUNG.at
Kinodoku über den blinden Maler Sergej Popolsin
21.02.2020 von Matthias Greuling
Das Wiener Künstlerhaus Kino wird sich an diesem Sonntag, dem 23. Februar, in einen Ort der interdisziplinären Künste verwandeln. Dann nämlich, wenn der russische Maler Sergej Popolsin seine Werke auch in einem eigens dafür inszenierten Film zeigen kann, unter seiner Regie, und das, obwohl der Künstler blind ist. Die Erblindung, Folge eines Suizidversuchs in seinen 20ern, hat sich für Popolsin als Motivator für seine Kunst herausgestellt, und der Film fängt ein, worum es dem Russen geht.
Musik und Leinwand
2004 hat Popolsin mit dem Musiker Evgeny Masloboev an einem Projekt gearbeitet, das unter dem Titel „Farbe im Ton” zwei Dutzend musikalischer Kompositionen mit Gemälden von Popolsin kombinierte. Am Ende wurde das Projekt nie realisiert, aber Bilder und Musik blieben dennoch erhalten. Daraus schuf Popolsin ab 2015 einen Film: Die Tondichtungen, kombiniert mit den Gemälden, ergeben ein künstlerisches Panoptikum der Verschmelzung von Tönen und Bildern, bei denen das eine ohne das andere nicht funktionieren könnte. Nur in der Einheit werden beide Kunstformen zu einem Film. Ein Film, der sich in 20 eigenständige Kurzfilme gliedert, die alle ihr eigenes Thema haben, nämlich das jeweilige Bild.
„Als Maler habe ich versucht, auf die Frage der Ausstellungsbesucher 'Wie entsteht ein Gemälde?' metaphorisch, ohne Worte, zu antworten und nicht über mich selbst zu erzählen. Zugleich wollte ich die Punkte finden, die in meinen Gemälden auf Evgenys Musik reflektieren”, sagt Popolsin, der für Drehbuch, Regie, Produktionsdesign und natürlich für die Gemälde verantwortlich zeichnet.
Das ambitionierte Kunstprojekt ist einmalig bei einer Matinée am kommenden Sonntag im „Stadkino im Künstlerhaus Wien” zu sehen.
KURIER - events.at
Sergej Popolsin: „Musik, Leinwand, Öl…”
Ein Film von Sergej Popolsin. Premiere und Treffen mit den Filmautoren.
Ein Film über Gemälde und einen Künstler. Ohne Worte, nur Musik.
„Stadtkino im Künstlerhaus Wien” 23.02.2020 / 11:00 Uhr
Die Grundfeste des Filmes ist die Musik. Zwanzig Musikstücke, geschrieben in verschiedenen Genres - von Avantgarde bis Jazz, von psychodelischem Rock bis Improvisationen auf der akustischen Gitarre –, sind in einer geeinten Reihe von Sujets angeordnet und in zwanzig eigenständige, in sich abgeschlossene Kurzfilme übersetzt. Jeder von ihnen hat ein Grundthema – das jeweilige Gemälde. Alle vereint die Hauptfigur – ein Künstler, ihr Autor. Er malt in freier Natur, ist deprimiert, erinnert sich an seinen Selbstmordversuch und den klinischen Tod, beschließt wegzufahren, vielleicht in ein anderes Land. Dort aber wieder Spaziergänge im Freien, wieder eine Ausstellung, Niedergeschlagenheit, Freude und Nostalgie.
Das Filmende ist metaphorisch: ein Blinder mit Blindenstock geht stolpernd durch eine sonnendurchflutete Steinwüste und weiß nicht, dass sich vor ihm eine Wand erhebt. Damit wird klar: der ganze Film ist eine metaphorische Erzählung über die Einsamkeit einer schöpferischen Persönlichkeit in der sie umgebenden Welt, über einen Künstler, der Harmonie sucht, und über einen Menschen, der auf der Suche nach sich selbst ist.
FALTER.at
„Musik, Leinwand, Öl…”
Filmkritik von Michael Omasta
23.02.2020 / 11:00 „Stadtkino im Künstlerhaus Wien”
Wie kann man diesen Film, der knapp eine Stunde dauert, keinen Dialog und einen blinden, in Wien lebenden russischen Maler als Darsteller hat, beschreiben? „Musik, Leinwand, Öl ...” ist ein filmisches Tongedicht. Man sieht Sergej Popolsin beim Spaziergehen, bei der Arbeit, beim Nachdenken; dazu 20 seiner Gemälde, korrespondierend mit ebenso vielen Musikstücken von Evgeny Masloboev. Der Plot bleibt Andeutung, Detailaufnahmen setzen auf taktiles Kino. „Die Geschichte ist Oberfläche”, heißt es in einem Text der Avantgardistin Germaine Dulac von 1928. „Die siebte Kunst, die Kunst der Kinoleinwand, ist die fühlbar gewordene Tiefe, die unter dieser Oberfläche liegt: das ungreifbar Musikalische.” So kann man den Film eventuell beschreiben.
Österreich-Premiere in Anwesenheit der Filmautoren.
NEUES WIENER JOURNAL (НОВЫЙ ВЕНСКИЙ ЖУРНАЛ)
Film von Sergej Popolsin „Musik, Leinwand, Öl…”
Publiziert am 03.03.2020
Der Held dieses Artikels – Sergej Popolsin – ist uns seit Langem bekannt. Im „Neuen Wiener Journal - НВЖ” gab es ein Interview des Künstlers und sein Gemälde hängt an einem Ehrenplatz in der Redaktion.
Am letzten Sonntag im Februar fand im „Stadtkino im Künstlerhaus Wien” die Premiere des Filmes von Sergej Popolsin „MUSIK, LEINWAND, ÖL…” statt. Dieses Ereignis hätte unbemerkt bleiben können, wenn man nicht wüsste, dass Sergej ein blinder Künstler ist, der in Wien lebt.
Ausstellungen seiner Gemälde gab es schon viele, sowohl in Russland, als auch in europäischen Ländern, aber dieses Mal präsentierte er sich uns von einer unerwarteten Seite – als Autor und Ausführender eines Videoprojektes „ … über Gemälde und einen Künstler. Ohne Worte, nur Musik”. Seinen Spielfilm (58 Minuten) im Genre eines Arthouse-Filmes machte Sergej faktisch allein, nur hinter der Kamera stand ihm Rosmarie Spitzer, seine Frau, zur Seite.
Im Herbst 2018, als der Film fertig war, übernahm sie dann die Rolle eines Producers und reichte den Film bei mehreren internationalen Filmfestivals ein. Im Winter und im Frühjahr 2019 wurde der Film von Sergej Preisträger bei zwei Kanadischen und zwei Kalifornischen Festivals in den Kategorien „Auswahl eines Jurymitglieds” und „Experimentalfilm”.
Interessant ist die Vorgeschichte zur Entstehung dieses Filmes. Bereits im Jahre 2004 arbeiteten der Maler Sergej Popolsin und sein Freund, der Musiker Evgeny Masloboev, an einem gemeinsamen Projekt mit der Bezeichnung „Farbe im Ton”. Zu knapp drei Dutzend Gemälden von Sergej schuf Evgeny musikalische Kompositionen. Leider wurde dieses Gemälde-Musik-Projekt nicht realisiert, die Musik aber blieb erhalten. Im Jahre 2015 kam Sergej dann auf die Idee, diese Musik zu verfilmen und, nachdem sich Evgeny damit einverstanden erklärt hatte, dass Sergej dessen Musikstücke verwenden könne, begann Sergej mit der Arbeit.
Als Autor des gesamten Videoprojektes sagt Sergej, dass der Film keine Autobiographie sei: „Man darf mich nicht zur Gänze auf die Filmfigur des Malers übertragen. Obwohl wir uns äußerlich gleichen und obwohl alle Gemälde von mir stammen, habe ich nur den Versuch unternommen, als Maler auf die Frage der Ausstellungsbesucher 'Wie entstehen die Gemälde?' metaphorisch, ohne Worte zu antworten. Bei der Arbeit an diesem Film war es für mich in erster Linie interessant, mich in die Musikstücke von Evgeny hineinzuhören und zu versuchen mir vorzustellen, was er denn in meinen Gemälden gesehen hat, was ich selbst nicht weiß, und mir dann zu den musikalischen Phrasen, Melodien und Rhythmen visuelle Motive auszudenken und sie, wie Glasperlen auf einem Faden, zu einem Sujet aneinanderzureihen.”
Und jetzt über den Film selbst. Seine kompositorische Struktur ist bis in die einzelnen Episoden untrennbar mit seiner Musik verbunden. Nimmt man die Anzahl aller ausgewählten musikalischen Kompositionen oder Mini-Tonstücke, wie sie ihr Autor auch nennt, könnte man den ganzen Film in zwanzig eigenständige, in sich abgeschlossene Kurzfilme aufteilen, von denen jeder Einzelne sein eigenes Thema hat – das jeweilige Gemälde. Alle diese Clips sind ihrerseits wieder inhaltlich in einer Linie aneinandergereiht. Ihrem Wesen nach sind sie jedoch in der Stimmung, in der Aufnahmetechnik und Montage, sowie in der künstlerischen Aussagekraft total unterschiedlich.
Sehr beeindruckend ist die professionelle Dreharbeit. Rosmarie erzählt: „Das Geheimnis ist einfach: ich habe so etwas zum ersten Mal in meinem Leben gemacht, aber mit viel Interesse und Liebe, und Sergej hat mir die Aufgaben immer erklärt, mir schematische Storyboards gezeichnet, die Scheinwerfer ausgerichtet, die Perspektive ausgewählt, sowie Gegenstände und die Dekoration angeordnet.”
Erstaunlich ist auch die unaufdringliche, aber genau durchdachte Detailplanung jeder einzelnen Szene, jedes Einzelbildes. Es gibt nichts Überflüssiges, jeder Gegenstand ist auf seinem Platz und hat einen ganz bestimmten und gewichtigen Sinn.
Ein erstaunliches Gefühl bleibt zurück, wenn man den Film angeschaut hat. Alles scheint einfach und verständlich zu sein, in der Erinnerung tauchen irgendwelche Bilder auf, irgendwelche musikalische Phrasen und Leitmotive… Aber nach einigen Tagen ertappt man sich bei dem Gedanken, dass man den Film noch einmal sehen möchte, als ob man etwas übersehen hätte, als ob man irgendeine Kleinigkeit nicht lang genug betrachtet oder nicht ganz verstanden hätte. Man möchte noch einmal dieses gegenseitige Durchdringen und Verschmelzen von Klang und Farbe, von Musik und Gemälde erleben.
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